evolutionäre Erkenntnistheorie
- evolutionäre Erkenntnistheorie
-
eine auf den Einsichten der synthetischen
Evolutionstheorie beruhende Richtung innerhalb der neueren Erkenntnistheorie, die davon ausgeht, dass das menschliche Erkenntnisvermögen (ähnlich wie die Organe) als
Produkt der biologischen Evolution zu betrachten sei.
Die evolutionäre Erkenntnistheorie stützt sich insbesondere auf die
Annahme, dass die Evolution aufgrund des Selektionsdruckes zu immer besserer
Anpassung an die
Wirklichkeit führe. Die Erkennbarkeit der
Realität mittels des Denkens - die »Passung« von Verstandeskategorien und
Realien - findet in diesem
Prinzip seine Erklärung: Nur diejenigen Gattungen überleben, deren Erkenntniswerkzeuge der Wirklichkeit optimal angepasst sind. Die evolutionäre Erkenntnistheorie vertritt damit einen hypothetischen Realismus: Die Annahme einer vom erkennenden
Subjekt unabhängigen, strukturierten und erkennbaren
Außenwelt ist nicht zwingend, aber äußerst nützlich. Bestimmte Kennzeichen des menschlichen Erkenntnisvermögens (z. B. die Dreidimensionalität des Raumes) sind phylogenetisch erworben, aber ontogenetisch
angeboren. Damit können sie als
Nachfolger der synthetischen Aussagen
a priori im Sinne I. Kants gelten. Die evolutionäre Erkenntnistheorie hat auch andere klassischen Probleme der
Philosophie wie etwa das Induktionsproblem zu lösen versucht.
Die evolutionäre Erkenntnistheorie ist umstritten. Neben Angriffen, die sich auf die naturwissenschaftlichen Basis der evolutionären Erkenntnistheorie beziehen, tritt im philosophischen Rahmen sehr oft der Vorwurf der Zirkularität auf: Die evolutionäre Erkenntnistheorie versuche, das menschliche Erkenntnisvermögen mit Aussagen zu begründen, die ihrerseits schon auf diesem Erkenntnisvermögen beruhten. Vielfach wird auch
behauptet, die evolutionäre Erkenntnistheorie sei unwissenschaftlich, da nicht falsifizierbar.
Der
Gedanke der phylogenetischen
Entwicklung der Erkenntnis wurde von K. Lorenz im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zu Kants Kategoriensystem ausgesprochen (1941, 1943). Andere wichtige Wegbereiter waren L. von
Bertalanffy und J. Piaget. In
Deutschland sind G.
Vollmer, H. Mohr, R. Riedl und F. M. Wuketits die bekanntesten
Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie. International einflussreich wurde K. R.
Poppers (1972) evolutionäre Theorie der Wissenschaftsentwicklung.
J. A. Alt: Vom Ende der Utopie in der Erkenntnistheorie. Poppers evolutionäre Erkenntnislehre u. ihre prakt. Konsequenzen (1980);
R. Riedl: Evolution u. Erkenntnis (
41990);
G. Vollmer: E. E. (
61994).
Universal-Lexikon.
2012.
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